sie nannte mich Kraliçe

Heute ist Muttertag. Wieder ein Tag in diesem Jahr, vor dem ich schon die ganze Woche etwas Angst und Bammel hatte.

Es ist – besonders heuer – ein sehr emotionaler und spezieller Tag für mich. Zum einen denke ich ganz fest an meine Mama, die nicht mehr bei uns ist, also irgendwie schon aber in einer ganz anderen Form. Zum anderen denke ich daran, dass auch ich schon (fast) Mama bin. Es heißt, dass Frauen – ganz gleich, wie stark die Beziehung zu ihrer eigenen Mutter ist – in der Schwangerschaft eine noch tiefere Bindung zu ihrer Mutter aufbauen. Man schlüpft als Tochter erstmals in die Mutterrolle, entwickelt Sensoren, Gefühle, Gedanken, die man vorher nicht kannte und die man nur nachempfinden kann, wenn man selbst (bald) Mutter ist. Man interessiert sich für Details von Mamas Schwangerschaft, der ersten Zeit als Mama, der eigenen Kindheit – man stellt seiner Mutter all diese Fragen, die einen selbst plötzlich tagtäglich beschäftigen. Eine ganz spezielle Phase für Mutter und Tochter. Und gleichzeitig eine Tatsache, die mich wieder vor neue Herausforderungen stellt – denn meine Fragen bleiben von Mama leider unbeantwortet. Ich werde einige dieser wertvollen Antworten nie finden.

Diese Tatsache schmerzt sehr und macht dein Scheiden wieder sehr präsent und real. Was ich aber bestätigen kann, ist die verstärkte Bindung, die ich zu dir spüre. Ich hätte nie geahnt, dass unsere Bindung noch stärker werden könnte. Manchmal fühle ich mich so, als würde ich in deiner Haut stecken, als würde ich alles durch deine Augen sehen, durch deine Gefühle wahrnehmen und fühlen. Ich habe für manche deiner vergangenen Entscheidungen nun mehr Verständnis, kann einiges besser nachvollziehen. Ich habe das Gefühl, dich als Mutter und als Frau jetzt noch besser kennenzulernen. Ich nehme die Welt erstmals nicht mehr rein als Tochter, sondern bereits als (werdende) Mutter wahr. Eine sehr emotionale und spezielle Zeit! Nichts, womit ich so schnell gerechnet hätte, aber auch nichts, was ich jemals wieder missen will.

Meine unendliche Liebe zu dir, Schönste, bleibt bestehen. Und die bedingungslose Liebe, die du mir stets entgegengebracht hast, werde ich immer spüren und mit ihr auch den Dank und die Demut, dass du mich immer so geliebt hast, mit all meinen Ecken und Kanten. Du kanntest mich besser, als ich es tat, du warst mir immer 10 Schritte voraus, auch wenn ich manchmal vom Gegenteil überzeugt war. Auch ich werde mein Kind so bedingungslos lieben, wie ich es von dir gelernt habe und ich werde versuchen, es dir bestmöglich gleichzutun.

Ich musste dich gehen lassen, doch du hast mir ein wundervolles Geschenk gemacht. Ich glaube jetzt fest daran, dass du nach wie vor deine schützenden Hände über deine Töchter hast. Und erst jetzt verstehe ich, dass du mich an diesem sonnigen Herbsttag, als der Abschied ganz nah war, erstmals >Kraliçe< (türk.: Königin) genannt hast. Ich wusste in diesem Moment nicht, warum du das sagst, denn ich war immer deine Prinzessin. Jetzt weiß ich, dass du mit diesen Worten deine Krone symbolisch an mich abgegeben hast… Eines sei jedoch gesagt: Du wirst immer meine Königin bleiben!