Der Juni ist ein sehr intensiver und emotionaler Monat für mich…Gestern war der 12.6., also war es genau 1 Jahr her, als Mama das erste Mal zur Chemo musste. Ich habe mir diesen Tag freigenommen, um sie zu supporten, obwohl sie es wochenlang abgewehrt hat. Doch wusste ich um ihre Nervosität und Angst, also war für mich klar, dass ich an diesem Tag nicht von ihrer Seite weichen werde. Ich erinnere mich sehr gut an diesen Tag, denn er war sehr intensiv und auch meine Anspannung war groß. Ich habe all meine Kräfte gesammelt und aktiviert, um Ruhe und Zuversicht auszustrahlen. Nach außen war ich immer stark, das war für mich als Tochter das einzige, was ich tun konnte. Doch in mir sah es natürlich ganz anders aus, aber das hätte ich mir niemals anmerken lassen. Ich werde Mamas Blick nie vergessen, als die Krankenschwester die Infusion anhängte. „Jetzt kommt das Gift“, sagte sie mit ängstlichem Lächeln. In ihren Augen war pure Angst abzulesen. Das mitansehen zu müssen, versetzte mir einen tiefen Stich im Herzen. Ich fühlte mich schwach und hilflos, denn mir waren die Hände gebunden. Ich konnte nichts tun, hatte keinen Plan B parat. Auch ich hatte große Angst. Angst vor dem, was (womöglich) bevorstand, Angst, dem Ganzen nicht gewachsen zu sein.
Aber – wie so oft – haben wir das Beste aus der Situation gemacht, ich habe gescherzt, mit dir über Dies & Das geplaudert, dich auf andere Gedanken gebracht… Rückblickend betrachtet unglaublich, dass dieser Tag deinen Fortgang eingeläutet hat – so empfinde ich es jedenfalls, da es dir von da an immer schlechter ging. Es war der Anfang vom Ende. Dennoch hätte ich damals nicht gedacht, dass ich dich nur 4 Monate später auf deinem letzten Weg begleiten würde… Die letzten 4 Monate waren hart und stellten mich täglich vor neue Herausforderungen. Für dich waren es 4 beschwerliche, nervenaufreibende, schmerzerfüllte Monate, begleitet von Schwäche, Müdigkeit, Angst, sinkender Hoffnung, Resignation und beginnendem Abschied als Resultat immer schlechter werdender Befunde und starker Nebenwirkungen. Eine furchtbare Zeit, die mir immer noch in den Knochen sitzt.
Heute, am 13.6., ist es genau 8 Monate her, dass dieser letzte Weg ein Ende nahm. Heute vor 8 Monaten habe ich dich gehen lassen. Heute vor 8 Monaten habe ich mich selbst wieder ein Stück besser kennengelernt. Heute vor 8 Monaten bin ich wieder gewachsen. Heute vor 8 Monaten habe ich ein letztes Mal all meine Kräfte für dich gesammelt, um dir positive Energie und Ruhe zu vermitteln. Auch wenn es tief in mir ganz anders aussah. Heute ist es 8 Monate her, dass auch ein Teil von mir gestorben ist. Übermorgen ist mein Geburtstag, es ist einer von vielen, doch der erste ohne dich! Der erste ohne deine lieben Glückwünsche, ohne deine Umarmung, ohne deine einzigartigen Glückwunschkarten, ohne deinen Strahleblick, wenn du mich voller Stolz beglückwünscht hast! Die Gewissheit, dass all das fortan immer in der Vergangenheit liegt und eine bloße Erinnerung bleibt, schmerzt sehr.
Es ist das erste Mal, dass mir bewusst wird, dass wir uns im Juni kennengelernt haben, als ich das Licht der Welt erblickte und du mich das erste Mal in den Händen gehalten hast. Es ist das erste Mal, dass mir bewusst wird, dass mein Geburtstag auch für dich immer ganz besonders war, denn es war der Tag, an dem du meine Mama wurdest. Aus diesem Blickwinkel habe ich es noch nie betrachtet. Auch sind es nur noch 4 Monate bis Oktober – dann jährt sich der Tag, an dem du (voraus-)gegangen bist und unsere Mutter-Tochter-Verbindung (zumindest auf irdischer Ebene) getrennt wurde. Und es nähert sich auch der Tag, an dem ich Mama werden darf und der Tag, an dem meine Mutter-Tochter-Verbindung entsteht (auch wenn sie sich bereits jetzt in der Schwangerschaft entwickelt). Es jährt sich demnach nicht nur der Tag des Abschieds, es nähert sich auch der Tag des Kennenlernens. Ein Tag, an dem in mir ein Teil geboren wird, wenn auch ein anderer erst kürzlich starb. Ein schönes Geschenk und wahrlich ein Trost für die noch offenen Wunden…
(Das Bild ist übrigens von Juni 2018. Es war der Blick aus dem Krankenzimmer im AKH…)