Ihr Stalker

Sie liegt auf dem Sofa und blickt ängstlich und erschöpft aus dem Fenster. Sie starrt hinaus in eine Welt, die von einem Tag auf den anderen plötzlich unerreichbar für sie geworden ist. Und der Grund dafür bist du!

Sie starrt aus dem Fenster und ihre Gedanken kreisen nur um dich. Du hast ihr die Freiheit genommen. Du hast ihr alles genommen! Die Hoffnung, die Freude, die Sonne im Herzen. Seit du dich damals in ihr Leben gedrängt hast, ist ihre Welt düster und trist. Sie hat Angst vor dir, denn du bist unberechenbar und eiskalt. Sie weiß nicht, wann und wo du das nächste Mal zuschlägst. Du schleichst dich an, kommst aus dem Hinterhalt, ohne Vorwarnung. Du hast sie stets im Visier. Dein Blick ist nur auf sie gerichtet und wendet sich nicht von ihr ab. Dieser Psychoterror macht sie nach und nach immer schwächer. Zu geschunden ist ihr Körper bereits von den Verletzungen, die du ihr zugefügt hast.

Also zieht sie sich aus dem Leben zurück. Sie geht nicht mehr hinaus, kein Spaziergang, kein Restaurantbesuch, kein Konzert. Die Angst, sie könne dich provozieren, ist viel zu groß. Wenn sie sich vor dir versteckt, kannst du sie nicht finden, denkt sie sich. Aber du bist immer auf der Lauer. Du bist ihr erster Gedanke am Morgen und auch ihr letzter, bevor sie abends schlafen geht. Selbst in ihren Träumen verfolgst du sie, dabei würde sie die Ruhe so dringend brauchen.

Und ich sehe dabei zu und bin wie gelähmt. Ich kann nichts gegen dich tun. Du scheinst unbesiegbar. Auch mir jagst du mittlerweile Angst ein. Die Angst sitzt mir im Nacken. Wann schlägst du erneut zu? Werde ich da sein? Meine größte Angst ist, dass ich nicht da sein werde, wenn es wieder passiert. Ich kann sie nicht rund um die Uhr vor dir beschützen! Aber wie halte ich dich auf? Nichts an dir ist gut, nichts an dir ist menschlich. Du lässt nicht mit dir verhandeln. Du hast dieses eine Ziel und das verfolgst du. Du rastest niemals und du scheinst unaufhaltsam. Kaum wiegt man sich in Sicherheit und denkt, du hast endlich von ihr abgelassen, schlägst du erneut zu. Und dann noch grausamer und unerwarteter als die Male zuvor.

Seit knapp fünf Jahren kämpfen wir gegen dich an. Unsere Körper und Herzen sind von Kampfspuren übersät. Wir sind geschwächt, aber wir sind auch stärker geworden. Wir sind stets wachsam, immer auf der Hut und schmieden Pläne, wie wir dich besiegen können. Du durchschaust unseren Plan und änderst deine Strategie. Ein Rückschlag für uns. Du scheinst unbesiegbar. Du bist einfach stärker als wir. Wir liegen erschöpft auf dem Boden. Wie hoch ist der Preis? Wie lange dauert dieser Kampf noch an? Selbst ich, die stets voller Hoffnung ist, ertappe mich dabei, wie ich mich beinahe dem Schicksal ergebe.

Aber dann habe ich eine Idee und auch ich ändere nun meine Taktik. Ich mache dich sichtbar. Ich personifiziere dich. Jetzt, wo du eine Gestalt angenommen hast, kann auch ich dich beobachten. Und das macht dich angreifbar. Du bist nun da, wo ich dich sehen kann. Ich gebe dir keinen Namen, denn kein Name hat es verdient, durch dich beschmutzt zu werden. Ich gebe dir auch kein Gesicht, denn ich könnte keine passenden Worte finden, die keine Blutrünstigkeit und Kaltblütigkeit beschreiben könnten. Und hättest du ein Gesicht und einen Namen, würde dich das beinahe menschlich machen und das bist du ganz und gar nicht. Du willst nur Schmerz und Leid zuführen. Doch Augen gebe ich dir, denn dann kann ich dich ins Visier nehmen und dir tief in die Augen schauen, ganz ohne Furcht. Du hast einen leeren Blick. Ich kann nichts Gutes an dir erkennen. Deine Kaltblütigkeit macht mich nur stärker. Du bist so unbedeutend und hast so viel Aufmerksamkeit längst nicht verdient. Dennoch habe ich in den letzten Jahren viel Zeit mit dir verbracht. Du bist kein Fremder mehr für mich.

Du standest plötzlich vor unserer Tür, an diesem kalten Novembertag 2013. Seither bist du nicht mehr von unserer Seite gewichen. Ich habe dich oft verflucht, ich habe versucht dich zu verstehen, auch versucht dich zu akzeptieren und ich habe dich studiert. Ich blicke nun auf 5 harte, lange Winter zurück und auch auf 5 solcher Sommer. Ich hätte mir die Zeit lieber anders vertrieben als mit dir, hätte ich eine Wahl gehabt, denn du bist kein angenehmer Zeitgenosse.

Es sind viele Tränen geflossen. Es ist viel Blut vergossen worden in unserem Kampf gegen dich. Aber eines ist klar: die Geschichte ist noch nicht geschrieben. Das Schicksal ist noch nicht besiegelt. Und entscheidend ist nicht, wer letztendlich den Kampf gewinnt. Vielmehr geht es darum, an wen man sich später zurückerinnern wird. Denn es sind immer die HELDEN, die in die Geschichte eingehen. Es sind die Helden, die in den Erzählungen der anderen ewig weiterleben und unsterblich sind. Du hast keinen Namen, keine Identität. Niemand wird sich an dich erinnern, wozu auch? Und gewinnen kannst du so oder so nicht, denn du wirst ihr Leben niemals überdauern. Bringst du sie um, stirbst auch du! Und das ist meine Genugtuung…